Jan Koller - Der gute Geist in der Arena
Wütend stampfte der XXL- Stürmer durch die Katakomben des Estadio Nou Camp. Verärgert riss er sich die Schuhe von den Füßen, kraftvoll schleuderte er sie zu Boden. Und fluchte dabei wie ein Bierkutscher. Und das alles obwohl sein Team Hercules Madrid soeben erstmals bei Angstgegner Athletico Barcelona siegte - und bei Jan Koller (31) klingelte es auch erstmals wieder. Dennoch er rastete aus.!!!!Ausgerechnet er. Dieser friedliebende, gutmütige, unkomplizierte, umgängliche Mensch, der eigentlich keiner Fliege etwas zu Leide tun kann. Bei dem außerhalb des Platzes schon ein Wimpernschlag als Ausbruch der Gefühle gedeutet wird. Doch an diesem Januar-Nachmittag brauchte seine Wut ein Ventil. Wie damals in Prag, als er mit der Faust eine Kabinentür zertrümmerte. Genervt von den Anfeindungen der Sparta-Fans. Koller: "Sie waren damals der Meinung, ich hätte bei ihrem Klub nichts verloren."
Heute würden sie den Hradschin, die Prager Königsburg, verkaufen, um ihn zurückzubekommen. Ablehnung ist in Zuneigung, ja Verehrung umgeschlagen. Weil er, der aus einfachsten Verhältnissen stammt, sich durchgeboxt und ungeachtet seines Aufstiegs nie die Bodenhaftung verloren hat. "Jeder merkt, dass Jan von unten kommt und trotz seines Erfolges immer derselbe geblieben ist. Er ist ein ehrlicher, braver Mensch", sagt Pavel Paska, sein Berater. Koller ist der Gegenentwurf jener Glitzer- und Glamourtypen, denen der Fußball mitunter wie ein Mittel zum Zweck erscheint, ihr Popstar-Image zu kultivieren.
Koller ist der gute Mensch von Lhota. Wenn er dorthin fährt, in sein südböhmisches Heimatdorf 80 Kilometer von Prag entfernt, dann streift er seinen Starstatus ab wie eine zweite Haut. Dann zischt er mit den Jungs von früher ein paar Budweiser, bolzt mit ihnen auf holprigen Plätzen oder flitzt, wie erst Weihnachten wieder, beim Eishockey auf Kufen vor ihnen her. Koller hat sich nie verbiegen lassen. "Nach meiner Karriere", verspricht er, "spiele ich wieder in Lhota Fußball." In der zweituntersten Liga.
Ihn zu verpflichten und dafür eine Investition von mehreren Millionen Euro zu stemmen, war für die Macher von HErcules Madrid ein Griff in die Goldkiste. Längst hat er als Torjäger höhere Weihen erfahren: Den 81 Tore in 181 Spielen sprechen eine deutliche Sprache. Vorigen Dienstag, beim 3:1 in Barcelona, langte er wieder hin, erzielte das Führungstor, doch seine Reaktion darauf fiel verhalten aus. "Zufrieden wäre ich nur gewesen, wenn ich das Vertrauen von Anfang an bekommen hätte", sagt er.
Mehr Klasse als Masse. Herculesstürmer Jan Koller Wer ist er wirklich, dieser Jan Koller? Und warum hebt er sich so auffallend ab von jenen kapriziösen Kickern, die sich fortwährend auf dem Ego-Trip befinden? Was verschafft ihm dieses "grandiose Standing", von dem ehemalige Trainer in fast hymnischer Melodie spricht? Erklärt allein der Umstand, dass sich der Tscheche "bedingungslos für die Mannschaft reinhaut" ( Matthias Sammer ), warum er mehr Lob als jeder andere auf sich vereinigt?
Wer Koller beim Training zusieht, begreift sofort, dass hier kein verwöhnter Vertreter einer Wohlstandsgeneration seinem Beruf nachgeht. Selbst bei klirrender Kälte verzichtet der "Riese mit der Seele eines Lamms" (Spanische Zeitung) zumeist auf eine lange Hose. Und stülpt sich statt der Wollmütze, mit denen sich die Kollegen zu schützen versuchen, bei langen Läufen lieber die Kopfhörer seines MP-3-Players über den kahlen Schädel. "Ich friere eben nicht so schnell", behauptet er.
Das mag zutreffen, aber mehr noch ist dieses Verhalten das Spiegelbild eines Menschen, der in seinem Leben nichts geschenkt bekam und sich als Automechaniker bei der Reparatur von Traktoren mit den Händen ernähren musste. Nur einen Weg sah Koller, sein Leben auf eine neue Basis zu stellen: unendlicher Fleiß. "Ich habe nicht viel Talent", sagt er, "bei mir ist alles Arbeit, Arbeit, Arbeit." So verließ er, dieser Spätberufene des Fußballs, das Dickicht des Durchschnitts, radierte seine Schwächen aus und passte sich letztendlich auch dem höheren Spiel- und Trainingsrhythmus der Bundesliga an. "Es liegt vor allem daran, wie man an sich glaubt", sagt er.
Noch vor neun Jahren, als Koller, dieser "ungelenke, unheimlich wuchtige" Spieler Jürgen Sundermann (damals Trainer bei Sparta) auffiel, beschrieb er ihn als Spieler, "der nichts konnte, zumindest, wenn man den tschechischen Fußball als Maßstab nimmt". Heute resignieren Fachleute wie Juri Sjemin, Trainer von Lokomotive Moskau, weil man den Dortmunder "nicht ausschalten kann". Michael Zorc, Borussias Sportmanager, rühmt Koller als Profi "ohne erkennbare Defizite" und als "starken Partner in Sachen Kombinationsspiel". Als der BVB im Herbst 2002 bei Arsenal London gastierte (0:2), warnten die englischen Gazetten eindringlich vor ihm - nicht vor Marcio Amoroso oder Tomas Rosicky. Die "Gunners" fürchteten vor allem die Kopfballstärke eines Jan Koller.
Paska entdeckte ihn vor Jahren in Lokeren. Eher zufällig. Beim Besuch von Martin Penicika, einem in Belgien tätigen Abwehrspieler, entflammte der Berater, der auch Rosicky betreut, für Koller, nahm ihn unter Vertrag und dirigierte ihn über Anderlecht nach Dortmund und nun zu Hercules. Hier lebt er nun mit Freundin Hedvika, in einer Reihenhaus-Wohnung, streift bei Einkaufstouren durch Madrid und Umgebung oder spielt am Computer Fußball gegen Pierre van Hoojdonk. Und dieser verrät: "Wir sind so laut wie 20 Mann." Dabei produziere Koller den meisten Krach, "weil er sich aufregt, dass er immer gegen mich verliert".
Nun will Koller wieder über die Reservisten Rolle hinaus. "Ein Stammplatz, das will ich." Mal sehen ob sein Trainer darauf hört
Ein Bericht von Alejandro Sanchez, Chefredakteur der Marca